Besuch bei den estnischen Jungliberalen

In politischen Kreisen ist das Land vor allem für seine stark fortgeschrittene Digitalisierung bekannt. Als hoch aktuelles Thema interessieren sich auch die Jungfreisinnigen für dieses Thema. Um sich ein direktes Bild vor Ort zu machen, besuchte eine zwölf köpfige Gruppe der Jungfreisinnigen Schweiz Estland und nutzte die Gelegenheit sich mit der lokalen Liberalen Jungpartei auszutauschen und so ihr kulturelles Verständnis zu verbessern. Ich war Teil dieses Besuches.

Digitalisierung

Als die Esten 1990 unabhängig wurden, standen sie vor einem grossen Problem: wie sollen staatliche Leistungen in einem Land in einer schwachbevölkerten Landschaft und schwacher Wirtschaft angeboten werden? Sie entschlossen sich rigoros in die Digitalisierung zu investieren. Heute zieht es dafür Delegationen aus der ganzen Welt an. Jedoch muss festgestellt werden, dass die Digitalisierung des Staates vergleichsweise stark vorangeschritten ist, jedoch die privatwirtschaftliche deutlich weniger.

Gerade die digitale Signatur der Esten ist sehr hilfreich. So können Verträge von jedem Punkt in der Welt unterschrieben werden. Dies beschleunigt den Prozess enorm und führt zu weniger Papierverbrauch. Auch die Portale des estnischen Staates sind sehr benutzerfreundlich gestaltet und einfach zu bedienen. Interessant fand ich zum Beispiel, dass dank einer optimalen Internetanbindung Rettungssanitäter vor Ankunft schon alle Informationen zu Allergien, Medikamente, Organspenderausweis, etc. des Patienten wissen.

Aus liberaler Sicht konnten aber auch negative Aspekte der Digitalisierung, z.B. beim Datenschutz, festgestellt werden. Die digitalen Daten eines Bürgers können von anderen staatlichen Organisationen ohne grosse Hindernisse eingesehen werden. Der Zugriff wird zwar dokumentiert (ausser bei Kriminalverfolgung und Geheimdienst), jedoch bezweifle ich, dass die Mehrheit der Bevölkerung dies aktiv wahrnimmt. Folglich wird die Überwachung stärker ausgebaut und die Datensouveränität geht verloren. Aus meiner Sicht deutlich bedenklicher ist der zukünftige Schritt der estnischen Digitalisierung. Staatliche Portale sollen auf Grund der Daten den Bürgern Vorschläge für ein besseres Verhalten machen. Dies ist eine Bevormundung und gilt es aus liberaler Sicht deutlich abzulehnen.

Schlussendlich hat die Digitalisierung ein grosses Potenzial. Gerade abgelegene Täler könnten besser versorgt werden. Lasst uns die Vorteile nutzen.

Estnische Politik

Nebst den Besuchen bei Digitalisierungsinstitutionen trafen wir uns mit den estnischen Jungliberalen (Estonian Reform Party Youth). Ihre Mutterpartei ist zwar die stärkste Partei Estlands, befindet sich jedoch momentan in der Opposition. Sie präsentierten ihr politisches System, ihre Partei und wir erhielten dadurch ein grösseres Verständnis für die estnische Kultur und ihre Perspektive auf die EU.

Während des Austausches stellten wir die Besonderheiten des Schweizer Systems vor. Wir legten hier den Fokus auf die direkte Demokratie, Föderalismus und das Miliz-Prinzip. Beim Abendessen gab es interessante Gespräche z.B. wieso aus unserer Perspektive die direkte Demokratie und der Föderalismus sehr liberal sind und wieso sie es aus ihrer Sicht (momentan) ablehnen.

Gesellschaftliches

Nebst dem offiziellen Programm hatten wir natürlich sehr viel Zeit Tallinn selber zu erkunden. Tallinn ist eine sehr schöne Altstadt (Weltkulturerbe), in welcher man den mittelalterlich-germanischen sowie der neuzeitliche zaristisch-russische Einfluss sehr gut beobachten kann. Die Gesellschaft beobachtete ich als sehr zurückhaltend im Gespräch jedoch als direkt. An zwei Abenden zeigten uns die ERPY noch die Bar- & Clubszene von Tallinn.

Es war ein toller Ausflug, bei welchem ich viel über die Digitalisierung und die Politik Estlands lernte, sehr gute neue (estnische) Freundschaften knüpfen konnte, sowie bisherige Jungfreisinnige Freundschaften geniessen konnte.

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